Genügen unsere Versäumnisse als Vorteil?
Natürlich sind die Zusammenhänge viel komplexer. Doch das Indiz scheint stichhaltig. Die Versorgung der Bevölkerung mit stationären Behandlungsplätzen, insbesondere die intensivmedizinische Versorgung, scheint in Deutschland heute vor allem auch deshalb so gut zu sein, weil wir eine häufig als dringend bezeichnete Reform der Krankenhausstruktur gescheut haben.
Offensichtlich genießen wir außerdem - und aufgrund des frühen Auftauchens des Virus in München - einen Zeitvorsprung. So konnten die Kapazitäten noch vor dem Höhepunkt der Epidemie in Deutschland deutlich erhöht werden. Eine Begleiterscheinung ist, dass wir Leerstände dort erzeugen, wo Krankenhäuser vor allem einen ländlichen Versorgungsauftrag sicherstellen.
Wenn wir sagen, Deutschland leistet sich viele Krankenhausbetten, darf nicht negiert werden, dass diese Kapazitäten sich über viele, teils viel zu kleine Standorte verteilen. Das mag aus der Versorgungsperspektive auf einer Landkarte äußerst attraktiv aussehen. Die für dieses dezentrale Muster nötige Finanzierung wird oft auf dem Rücken der Pflegerinnen und Pfleger gewährleistet. Dabei geht es mir weniger um die Höhe der konkreten Gehaltszahlung, sondern um den Pflegeschlüssel, der den Begebenheiten angepasst wird. Kleinere Standorte strahlen oft nicht die Attraktivität aus und rekrutieren ihren Nachwuchs aus der Substanz einer immer älter werdenden Landbevölkerung. Der demographische Faktor tritt also hinzu und verschärft die Situation, Pflegeausbildung in ländlicher gelegenen Standorte sicherzustellen.
Deshalb bin ich sehr gespannt, nicht nur wie die Epidemie für Deutschland ausgeht, sondern welche Diskussionen sich anschließen. Eine Argumentationslinie könnte sein, insgesamt zwar die Anzahl der Betten nicht sehr deutlich zu verkleinern, Medizin und Pflege jedoch an zentraleren Standorten zusammenzubringen. Ein Projekt, das über mindestens zwei Dekaden passieren müsste.
An Zentralstandorten müsste deutlich mehr Pflege ausgebildet werden. Der Beruf muss also überdurchschnittlich attraktiver werden. Andererseits nimmt das Tempo für die Veränderung im Rollenverständnis einer Pflegekraft in der Peripherie zu. Hier ist an eine gestärkte Delegation zu denken, die draußen wichtiger ist, als in pflegerischen Berufen, die näher an der Hochleistungsmedizn agieren. Insofern zu prüfen ist, ob der sich schleppend hinziehende Umbau der Krankenhausstruktur für die Pandemie ein Glücksfall war. Oder wäre uns genau so geholfen gewesen, wenn an zentralen Standorten statistisch gesehen eine ähnliche Situation geherrscht hätte. Also ausreichend medizinische und pflegerische Fachkräfte an wenigen zentralen Standorten?